Feldforschung im grönländischen Sommer - wie ist das eigentlich?
26. September 2024
Foto: UHH/C. Steffens
In diesem August und September waren die MOMENT-Forschenden erneut auf der Disko-Insel für diverse Probennahmen, Auslesen von kontinuierlich erfassten Daten zu Bodenfeuchte, -temperatur und -redoxpotential und Gasflussmessungen. Wie ist es eigentlich, in einer arktischen Region zu forschen? Dieser Frage ging Christina Steffens nach und begleitete und unterstützte MOMENT-Forschende der Universität Hamburg bei ihren Arbeiten über 10 Tage. In einer Reportage beschreibt sie ihre Erlebnisse, Gedanken und Gefühle während dieser Zeit:
Kangerlussuaq – Zwischenstation auf der Anreise. Kaum hat Claudia Fiencke den Flugmodus ihres Smartphones ausgeschaltet, da klingelt es auch schon. Am anderen Ende: Disko Line, das Fährunternehmen, das unter anderem Ilulissat mit Qeqertarsuaq auf der Diskoinsel verbindet. Erschrocken nimmt Fiencke den Anruf entgegen. „In Grönland klappt die Reise selten so, wie geplant“, hatte sie mir schon vorher berichtet und ergänzt: „Man lernt schnell, es einfach so zu nehmen, wie es kommt.“ Das Gespräch dauert ca. 2 Minuten, ich höre fiebernd zu. „Morgen soll es Sturm geben, deshalb wird die Fähre morgen nicht fahren. Für die Tage danach können sie noch keine Auskunft geben, sie haben aber angeboten, dass wir heute bereits fahren könnten, aber leider sind die Hotels in Qeqertarsuaq ausgebucht und wir müssen die Arktis-Station fragen.“, fasst Fiencke zusammen. Der Weiterflug nach Ilulissat ist bereits angezeigt – er soll pünktlich starten. Nach einem Anruf bei der Arktis-Station wissen wir, dass wir bereits heute anreisen dürfen – sie haben noch Platz. Wir suchen Jan Melchert und André Faust von der Universität zu Köln, die mit uns im Flieger ab Kopenhagen saßen, und dann geht es ganz schnell. Ein erneuter Anruf bei der Disko Line und der neue Fahrplan steht – wir kommen einen Abend früher auf der Disko-Insel an, als geplant.
Qeqertarsuaq, Disko-Insel - Die nächsten zwei Tage sind zwar weniger stürmisch als angekündigt, aber dennoch ungemütlich und regnerisch. Da die empfindlichen Messgeräte Feuchtigkeit nicht gut vertragen, können wir noch nicht mit den Gasflussmessungen im Feld starten. Bereits vor Ostern wurde ein Container mit diversem Feld- und Laborequipment nach komplizierter und zeitaufwändiger Zollabfertigung aus Deutschland nach Qeqertarsuaq verschifft. Fiencke und ich nutzen die regnerischen Tage, um das für unsere Arbeiten benötigte Feld- und Laborequipment sowie Messgeräte aus dem Container zum Labor bzw. zur Roten Hütte zu bringen. Die Rote Hütte liegt direkt am Rande des Untersuchungsgebietes im Blæsedalen. Der Weg dorthin ist steinig, es geht seicht auf und ab. Nach kurzer Zeit stehen wir an einem etwas steileren Abstieg und schauen auf eine Brücke. Sie ermöglicht die Überquerung des Red Rivers. „Letztes Jahr nach der Schneeschmelze kam soviel Wasser den Fluss entlang, dass es die Brücke zerstörte“, weiß Fiencke zu berichten, „die MOMENT-Forschenden, die zu der Zeit auf der Insel waren, waren glücklicherweise auf dieser Seite der Brücke und hingen nicht im Blæsedalen fest. Es dauerte ein paar Tage, bis die Brücke repariert werden konnte.“
Heute haben wir Zeit für den Weg und ich bin begeistert von der arktischen Vegetation – so viele Flechten, Moose, Gräser, kriechende Gehölze und Blumen, die die Basaltfelsen bunt färben!
Als wir von der Roten Hütte wieder aufbrechen, sagt Fiencke: „Zurück gehen wir einen anderen Weg, ich möchte dir etwas zeigen.“ Es war nass und kalt, aber unser Ziel sorgte für gute Laune. Die Kräfte der Natur spür-, hör- und sichtbar an einem rauschenden Wasserfall des Red Rivers – der Fluss in schwindelerregender Tiefe unter uns.
Nach zwei Tagen klart das Wetter auf – nun kann die Feldarbeit so richtig starten. Nach dem Frühstück starten wir gut gestärkt den ca. 45-minütigen Weg zur Roten Hütte und schnallen dort die Messgeräte von Licor in die Tragevorrichtungen. Ich entscheide mich, meine Hände frei zu haben und schnalle zusätzlich den Rucksack mit weiteren Feldutensilien sowie Tagesverpflegung an den Licor, während Fiencke ihren Rucksack unter den Arm klemmt. Uff- ist das schwer… Das Tragegestell ist gut, das Gewicht wird gut auf die Hüften verlagert, so dass der Rücken sehr gut entlastet wird. Aber die Schultern schmerzen.
Wir gehen los querfeldein Richtung Untersuchungsstandort über stark höckeriges und zerklüftetes Gelände, durch hüfthohes Weidengestrüpp, über kleine Bächlein und entlang eines Abhangs (bloß nicht ausrutschen…). Ich bin froh um meinen Wanderstock, der mir zusätzlichen Halt gibt. Es ist ein Abenteuer und die Landschaft atemberaubend schön, sodass die Stimmung gut ist. Es weht ein leichter, frischer Wind. Ich denke: „Gut, dass es nur 6 Grad sind – bei 25-30 Grad Celsius würde ich das nicht schaffen.“
Nach ca. 30 Minuten Geschleppe kommen wir am ersten Messpunkt von Transekt 2 im Untersuchungsgebiet an und starten die Messungen. Heute messen wir die drei Treibhausgase Kohlenstoffdioxid (CO2), Methan (CH4) und Lachgas (N2O) mit transparenter und mit abgedunkelter Haube und mithilfe von zwei Licor-Analysatoren. „Vorsicht, nicht den Licor bei der Messung berühren“, warnt Fiencke, „er ist sehr empfindlich.“
Wir messen außerdem die Bodenfeuchte in zwei Tiefen und die Lufttemperaturen in 2m Höhe, auf der Bodenoberfläche und in drei Bodentiefen (5, 10, 20cm) und die Tiefe des anstehenden Permafrosts - hier nur wenige Dezimeter (<0.5m) unter der Geländeoberkante. Die Temperatur nimmt mit der Bodentiefe ab und die Temperatur in 20cm Tiefe liegt teilweise bei nur 0,6°C. „Das ist total spannend, im Sommer ist es oben wärmer; wenn der Winter kommt, kehrt es sich um, und der Boden ist an der Oberfläche am kältesten“, weiß Fiencke zu berichten. Hangabwärts arbeiten wir uns von einem Messpunkt zum nächsten vor und über die kurzen Strecken geht es mit dem Gewicht auf dem Rücken erstaunlich gut.
Zum Ende müssen wir noch einmal hangaufwärts und da lässt die Kraft nach – steil bergauf mit rund 18kg Gepäck auf dem Rücken – da habe ich Wackelpudding in den Knien. Das Ziel fest im Blick und mit Willenskraft komme ich total erledigt oben an, ruhe mich kurz aus und spüre in diesem Moment den allergrößten Respekt für all meine Kolleg*innen die wochen- bis monatelang diesen schweren Licor durch dieses unebene Gelände schleppen. Ich habe jetzt schon keine Lust mehr. Da hebe ich den Blick und habe eine traumhaft schöne Aussicht über das Blæsedalen. Es ist so still und friedlich und so atemberaubend schön – und da verstehe ich. Ja, das Geschleppe ist echt anstrengend, aber die Aussicht ist immerzu ein wahrer Seelenschmeichler – es tut einfach gut.
Abends schmerzt meine Schulter und ist ziemlich hart. „Hoffentlich erholt sich meine Schulter schnell.“, denke ich, stelle mich unter die heiße Dusche und behandle die harten Muskeln anschließend mit einem Wärmekissen.
Am nächsten Tag wollen wir noch weiter. „Heute ist so schönes Wetter, das nutzen wir und gehen zu Transekt 3 hinter der Moräne“, sagt Fiencke. Ich mache mir Sorgen, dass dieser Tag noch anstrengender wird, und frage mich, wann meine Belastungsgrenze erreicht ist. Erstaunlicherweise habe ich mich wohl schnell ans Gewicht auf meinem Rücken gewöhnt. Ja, es ist unglaublich anstrengend, aber heute habe ich keinen Moment Wackelpudding in den Knien – und die Schulter ist auch viel besser! Etwa eine Stunde sind wir unterwegs von der Roten Hütte mit dem schweren Licor auf dem Rücken, ehe wir das Transekt 3 erreichen. Zwischendurch eine kurze Verschnaufpause auf der Moräne, um uns nach dem anstrengenden Anstieg mit einem weiteren traumhaften Ausblick in alle Richtungen zu belohnen.
Nach kurzer Messzeit an Transekt 3: Die Füße sind kalt, heute ist die Oberflächentemperatur mit nur 5-6°C geringer, aber das Wetter ist super und die Aussicht hält schon wieder ganz viele neue beeindruckende Landschaftsbilder bereit. Der Tag ist lang – aber die Stimmung gut.
Neben den Messungen mit geschlossenen Hauben – heute aus Zeitgründen nur mit abgedunkelter Haube -, nehmen wir auch Stechringproben aus verschiedenen Tiefen, und setzen sie in ein Marmeladenglas (Mikrokosmen), was wir dann verschließen. Fiencke möchte herausfinden, in welcher Bodentiefe die Bodengase gebildet bzw. aufgenommen werden. Begeisterung macht sich breit – die Messmethode funktioniert und zeigt deutliche Unterschiede zwischen den einzelnen Bodentiefen auf.
Der heutige Feldtag endet an den Alluvialböden, einer kleinen Schwemmlandfläche im Red River, und dann geht es nach einem langen, aber erfolgreichen Feldtag die lange, hügelige, steinige, unwegsame und dennoch wunderschöne Strecke zurück zur Roten Hütte und anschließend zur Arktis-Station.
Am nächsten Tag ist aufgrund erneuten Regens ein Labor- und Bürotag angesetzt. Zeit für die Vorbereitung der Laborarbeit – denn neben den Gasflussmessungen haben wir auch Bodenproben genommen und diese sollen auf verschiedene Parameter untersucht werden, um herauszufinden, welche Parameter die Treibhausgas-Emissionen beeinflussen. Und Zeit, die müden Muskeln zu pflegen, denn tags drauf geht es wieder mit den Licors ins Gelände, dieses Mal zum Transekt 1 und den „Hummocks“.
Als wir nach diesem sehr frischen Tag zur Station zurückkehren, werden wir von unseren Kollegen Lars Kutzbach und Carolina Voigt, die im Laufe des Tages anreisten, begrüßt. In den nächsten Tagen arbeiten Kutzbach und Fiencke unter anderem gemeinsam mit Studierenden der Universität Kopenhagen.
Ich habe nun die Möglichkeit, Voigt bei ihrer Arbeit zu begleiten. Noch einmal möchte ich nicht frieren – also ziehe ich an diesem Morgen ein paar Socken mehr sowie zusätzlich Ski-Unterwäsche an und unterstütze Voigt bei ihrer Probennahme entlang Transekt 1. Wir nehmen Bodenproben am Oberhang unter Flechten- und unter Heidevegetation und genießen dann eine Mittagspause bei kühlem, aber sonnigem Wetter und tollem Blick über das Tal.
Anschließend folgt eine dritte Probennahme am Mittelhang. Wir beeilen uns, denn plötzlich droht das Wetter zu kippen. Wir sind gerade fertig, da fällt der erste Graupel, der kurz drauf in Regen übergeht. Es frischt ein eisiger Wind auf, die Wolken ziehen tief ins Tal, die Temperatur nur knapp über dem Gefrierpunkt. Zügig packen wir unsere Sachen zusammen, teilen die schweren Bodenproben zwischen uns beiden auf und treten den Rückweg an.
In den nächsten Tagen bleibt das Wetter regnerisch mit tief im Tal hängenden Wolken. Darum legen Voigt und ich einen Labortag ein und sammeln Wurzeln aus den Bodenproben, um letztere für Labor-Inkubationen zu homogenisieren. Voigt möchte herausfinden, wie sich die CO2- und CH4-Flüsse aus verschiedenen Bodentiefen und unter verschiedener Vegetation unter kontrollierten Temperatur- und Feuchtebedingungen im Labor verhalten. Das Absammeln der Wurzeln aus der Bodenprobe ist sehr langwierig und stupide. Wir nutzen die Zeit für tiefgreifende Diskussionen zu unseren wissenschaftlichen Fragestellungen.
Dieser Labortag war zugleich mein letzter vollständiger Tag auf der Disko-Insel. Zum Abschied gehen wir abends zunächst einen Tee aus heimischen Pflanzen in dem Kuannit Art Café trinken und kehren dann für einen letzten Schlummertrunk in das Blue Café ein.
„Trotz anstrengenden, kräfteraubenden Feldarbeiten ist die grönländische Landschaft mit Blick auf Eisberge mit einer der schönsten Arbeitsplätze der Welt.“, schwärmt Fiencke. Und ich kann dem nur zustimmen.